Georg Friedrich Fuchs gründet die "Schwaikheimer Harmonie der Kinder Gottes"
In Schwaikheim begründete der Weingärtner Georg Friedrich Fuchs 1812 die Stundengemeinschaft "Schwaikheimer Harmonie der Kinder Gottes", die nach einem Jahr bereits 23 Mitglieder hatte. "Dieser Georg Friedrich Fuchs, Weingärtner, verheiratet, mit zwei Kindern und einem ordentlichen Vermögen, war erst der Chef der Pietisten, blieb dann aber ganz aus der Kirche weg und versammelte die Separatisten in seinem Hause und auch in anderen Häusern." Der Pfarrer behandelte ihn "stets mit besonderer Liebe und ermahnte ihn oft privatim", es nützte jedoch alles nichts. Beim Begräbnis seiner Mutter ging er wohl mit auf den Friedhof, in die Kirche jedoch nicht. Vor der Konfirmation seiner Tochter nahm er diese aus dem Unterricht weg. Es wurden ihm darauf seine Versammlungen, die er besonders während des sonntagvormittäglichen Gottesdienstes hielt, untersagt. Auch Richter (Gemeinderäte) wurden ausgeschickt, die nach dem Rechten sehen sollten. Der Richter Ulrich berichtete: "Bei meinem Aufsuchen während des heutigen Mittagsgottesdienstes (1816) fand ich das Haus des Johann Kölz, Melchiors Enkel, so vollgepfropft von Separatisten, dass ich beinahe nicht hinein konnte. Dem vielfältigen Aufsuchen ungeachtet, scheint es, lassen die Leute nicht nach, ja, ich glaube gar, sie treibens noch ärger." Fuchs wurde am 4. Juli 1813 auf "einem von königlichen Oberconsistorio ergangenen Befehl vor den hiesigen Kirchenconvent geboten". Er erschien aber nicht. Darauf wurde er vor Gericht geladen und gab dort an: "An einem Montag seie er immer geneigt, auf dem Kirchenconvent die schuldige Bottmäßigkeit zu leisten, an dem Sonntag (der 4. Juli war nämlich ein Sonntag) aber erscheine er vor demselben nicht und wann ihm tausendmal gebotten werde." Weiter meinte Fuchs, das hiesige Pfarramt habe ja den Befehl, ihre Versammlungen alle Vierteljahre einmal zu kontrollieren und habe bisher noch niemals einen Grund zu einer Untersuchung gehabt. In dem Roman "Der Zug nach dem Kaukasus" (1940) schreibt Josef Ponten über Georg Friedrich Fuchs, er sei einst Armenpfleger in Schwaikheim gewesen und habe dort so hingerissen gepredigt, dass vor dem offenen Fenster die Straße voll Menschen gewesen wäre, an die Fensterwände gelehnt, und auf den Fensterbänken hätten die Burschen gestanden, und die Bänke wären nach außen und innen von Knaben besetzt gewesen. "Und man hatte den Fuchs bellen hören, gut bellen, ausgezeichnet bellen. Und er hatte gefordert und nicht versprochen, verboten und nicht erlaubt, den Genuss von Schnaps natürlich und selbst die Pfeife und die Freude des Lachens - weil es keine Kunde in der Bibel gäbe, dass Jesus je gelacht habe. Diese Beobachtung - weiß Gott - sie stimmte, wer wäre darauf gekommen, sie zu machen. Diese Feststellung war Fuchsens eigenste bibelforschende Tat und hatte ihn berühmt gemacht im Lande Württemberg. Aber trotzdem war er bescheiden geblieben und hatte das Volk gesammelt unter der Forderung, dass von Scherz und Narreteidingen diejenigen abzulassen haben, die in Christo sind."
Die Behörden hatten Listen von Separatisten in Schwaikheim aufgestellt, zu denen auch Leute vom Zillhardtshof und von Neustadt gehörten. 1815 zählte man bereits 56 Mitglieder der Sekte. Eine Liste nennt in Schwaikheim: Kaspar Dautel und Frau, Kaspar Ott, Johann Klenk, Heinrich Wild, Christina Magdalena Schäfer, Anna Maria Müller, Regina Schwarz, Barbara Schäfer, Gottlieb Johann Koch, Barbara Bauer. Wegen ihres "separatistischen Umtriebs" war auch eine Maria Agnes Bäurin aus Schwaikheim in Ludwigsburg in Haft. Sie war ,,30 Jahre alt, unverheiratet, hatte zwei uneheliche Kinder und schon immer ein schlechtes Prädikat gehabt. Erst Pietistin, dann Separatistin und steht mit den Galioten in Verbindung." Ein Teil seiner Anhänger trennte sich jedoch wieder von Fuchs. Deshalb ließ er sich von seinen Anhängern die schriftliche Bestätigung geben, dass sie bei ihm blieben. Er führte zwar einen ruhigen Lebenswandel, doch versuchte er, sich immer mehr Anhang zu verschaffen. Seine Rede war, man habe nicht mehr den alten Glauben, und wer seine Seele retten wolle, der müsse sich separieren. Er soll außer seinen noch andere Kinder selbst getauft haben.
Die Auswanderung wird organisiert
Bei einer nächtlichen Zusammenkunft beim "Separatisten-Fuchs" wurden einmal 34 Leute aus Schwaikheim, zwei vom Zillhardtshof und mehrere aus Neustadt gezählt. Fuchs selbst musste wegen seiner Umtriebe auf den Hohenasperg. Dort fasste er den Entschluss, nach seiner Haftentlassung eine Auswanderung der Separatisten zu organisieren. In der Tat war die Regierung froh, die unruhigen Geister loszuwerden. So wurde es der Schwaikheimer Harmonie möglich, nach Russland auszuwandern.
Jede Familie musste einen Bürgen stellen, der für alle eventuell hinterlassenen Schulden aufzukommen hatte. Auch mussten die Auswanderer auf ihre Bürgerrechte verzichten. Am 23. September 1816 wanderten die ersten 10 Familien mit zusammen 53 Personen nach Transkaukasien aus; 18 Separatisten ließen sich in Grusinien (Georgien) nieder. 1817 folgten sechs Familien mit 32 Personen, 1818 sechs Personen und 1819 noch einmal eine Familie mit fünf Personen. Aus dem ganzen Oberamtsgebiet wanderten 107 Familien mit insgesamt 635 Personen aus, davon aus Schwaikheim allein 151 Menschen.
Die Auswanderung beginnt
Aus keinem Ort sind so viele Auswanderer nach Russland gezogen. Sie wurden auf den bekannten "Ulmer Schachteln" von Ulm aus verschifft. In Wien stiegen sie in österreichische Boote um. Die Zahl lichtete sich durch Seuchen, die auf den Schiffen ausbrachen. Oft durfte nicht einmal das Ufer angelaufen werden. In Südrussland angekommen, zerstreuten sich die Auswanderer in verschiedene Gegenden. Die meisten Schwaikheimer gründeten mit anderen Auswanderern zusammen das Dorf Katharinenfeld in der Nähe von Tiflis im Transkaukasus, aber auch in Helenendorf fand man Schwaikheimer. Andere wieder blieben in Bessarabien (Gnadenau) oder in anderen Orten des Kaukasus. Sie gründeten blühende Kolonien, die alle deutsche Namen trugen. Auch Remstäler Reben nahmen sie mit, die dort ausgezeichnet gediehen. Die deutsche Winzergenossenschaft Konkordia hatte bis zur Revolution viele Filialen in Russland.
Über die beschwerliche Reise liegen mehrere Schilderungen vor (von Schenk und K Koch), denen wir einige Stellen entnehmen: Um die nötigen Pässe zu erlangen, setzte man sich gleich in Verbindung mit der russischen Gesandtschaft in Stuttgart. Die Entlassung aus dem württembergischen Untertanenverband bildete keinerlei Schwierigkeiten, da die Regierung die eigensinnigen Separatistenköpfe gerne scheiden sah. Nachdem die Besitzungen alle verkauft waren, setzte sich der Auswandererzug, im Ganzen zwischen 30 und 40 Familien stark, im September 1816 in Bewegung. An Sachen nahmen sie nur das Notwendigste mit, von Büchern die Bibel, den "Hoffnungs- und Glaubensblick" des Pfarrers Friederich, Jung Stillings "Grauen Mann" und die Erbauungsstunden über die Offenbarung Johannes` von Ph. M. Hahn. Nach kurzer Zeit gelangten die Auswanderer nach Wien. Hier wurde Halt gemacht und die ganze Schar für die schwierige Reise zu einer geschlossenen Gesellschaft organisiert. Zwei der Teilnehmer, Gottlieb Löffler und Adam Schille, wählte man zu bürgerlichen Vorstehern, die für die Aufrechterhaltung der Ordnung Sorge zu tragen hatten. Die Reise ging auf der Donau weiter. Ohne größere Hindernisse gelangten die kleinen Donauschiffe mit der chiliastischen Schwabenschar über Ofen, Orschowa und Galatz an der russischen Grenze in Ismail an. Eine Quarantäne von 24 Tagen verminderte die ohnehin schon kärglichen Vorräte an Nahrungsmitteln noch mehr. Das mitgenommene Reisegeld ging bei vielen zu Ende. Da nahm sich die griechische Kaufmannschaft von Ismail der Not leidenden Deutschen in rühmlicher Weise an und versorgte die Armen während der ganzen Zeit ihres Aufenthaltes in der Stadt mit Lebensmitteln. Auf der Reise unterließ man nicht, an Sonntagen die gottesdienstlichen Versammlungen abzuhalten. Auf gemieteten moldauischen Wagen wurde die Reise von Ismail weiter zu Lande zurückgelegt. Über Akkerman in Ovidiopol angekommen, mussten die Auswanderer abermals eine sechstägige Quarantäne bestehen.
Ankunft am 31. Dezember 1816
Auf deutschen Kolonistenwagen wurden sie endlich zu ihren Landsleuten in die Kolonie Großliebental bei Odessa abgeholt, wo sie am 31. Dezember 1816 wohlbehalten ankamen. Hier sollte der Winter zugebracht werden, bis unterdessen über ihre Niederlassung mit der Regierung verhandelt und von dieser entsprechenden Anordnung gegeben werden konnte. An den russischen Zaren wurde gleich die Bitte gerichtet, einen zum Weinbau geeigneten Ort im Kaukasus für die Niederlassung zu bestimmen. In Großliebental halfen sie ihren Gastgebern bei der Arbeit mit. Im Übrigen enthielten sie sich jeder näheren Fühlungsnahme mit den Kolonisten und lebten streng abgesondert. Nachdem die Auswanderung der Schwaikheimer im September 1816 Wirklichkeit geworden und ihre Schiffe von Ulm die Donau hinab in der Richtung nach Osten dem "Tausendjährigen Reich" entgegengefahren waren, stieg die Erregung der Gemüter in der Heimat aufs höchste. Man wurde immer ungeduldiger und weitere Auswanderungen wurden begonnen.
Die Reise geht weiter ...
Die Separatisten in Großliebental bestanden aber auf einer Fortsetzung ihrer Reise in den Kaukasus, wo sie dem Heiligen Land und dem Berg Ararat noch näher seien. 29 Familien entschlossen sich zum Weiterzug. Am 20. September 1817 trafen sie in Tiflis ein, insgesamt 178 Menschen. Interessant ist die Schilderung eines Franzosen über die Ankunft der Schwaikheimer. Zunächst hatte man geglaubt, diese Württemberger machten sich nach Südrussland auf den Weg, um dort neues Land zu suchen und wollte sie deshalb bei Odessa ansiedeln. Sodann erfuhr man aber, dass jeder Auswanderer nur einen Gedanken habe, nämlich den: sich nach Jerusalem zu begeben, um dort sein Schicksal zu erwarten. Man stellte ihnen die Gefahren und Schwierigkeiten vor, die sie erwarteten, wenn sie auf ihrem Unternehmen bestanden. Nichts konnte sie aber aufhalten, und indem sie ihre Pilgerfahrt mit blindem Eifer verfolgten, machten sie sich wohl oder übel auf den Weg nach dem Kaukasus, den sie mühsam durchzogen.
Ankunft in Tiflis
Sie kamen schließlich 1817 in Karawanen aus dem Engpass in der Nähe von Tiflis heraus, wo man über den eigenartigen Anblick ihrer Ankunft sehr erstaunt war. General Jermolow, der von diesen bizarren Erscheinungen auf den südlichen Hängen des Kaukasus benachrichtigt war, glaubte zunächst, es mit Narren zu tun zu haben, als er ihre Pläne hörte. Nachdem er die Hauptanführer hatte zu sich kommen lassen, stellte er ihnen die Unmöglichkeit vor, ihren Weg fortzusetzen und sagte zu ihnen:
"Das ist gut, solange ihr auf russischem Boden seid. Reist in Frieden und unter Gottes Schutz, da ihr euch dies zur Gewissensangelegenheit gemacht habt. Aber ihr sollt wissen, dass ihr, sobald ihr unsere Grenze verlassen haben werdet, auf bergiges Gebiet kommt zu Mohammedanern, die sich sehr wenig um eure Wallfahrten kümmern werden. Wenn die Führer Armeniens euch nicht zu Sklaven machen, um euch auf ihre Domänen zu verteilen, glaubt ihr dann, dass ihr den Händen der Kurden entgehen werdet, jener mitleidlosen Räuber, die euch bis aufs äußerste ausplündern werden und die glauben, euch eine große Wohltat zu erweisen, wenn sie euch nicht umbringen und zum Hüten ihrer Herden verwenden? Und wenn ihr auch noch den Persern und Kurden entginget, so würdet ihr doch nicht den Türken und Arabern der Wüste entgehen können."
Die Führer wurden bei diesem so wahren Bild von zahllosen Leiden, die sie erwarteten, erschüttert und legten sich ernstlich die Frage vor, ob sie auf ihren Plänen beharren sollten. Übrigens hatten die Ermüdungen einer langen Reise und die Krankheiten auch ihren Eifer gedämpft, und sie fügten sich schließlich und gingen auf die üblichen Bedingungen ein. Der Zivilgouverneur von Tiflis, von Stahl, nahm sich der Angekommenen an. Für die Gründung der Kolonie bestimmte die Regierung die 35 Werst östlich von Tiflis entfernte fruchtbare Gegend am Jorafluss. Zunächst aber, da der Winter immer näher rückte, brachte man sie in dem Grusinierdorf Morkobi unter, 25 Werst von Tiflis. Von der Regierung erhielten sie für die Zeit bis zur nächsten Ernte Nahrungsgelder und so konnten sie von den Grusiniern Lebensmittel kaufen. Die Beschäftigung bestand im ersten Winter in Holzfällen und Anfertigen von den nötigen Ackerbaugeräten wie Wagen, Pflüge, Eggen u.a. Der Aufenthalt in Morkobi dauerte bis Ostern 1818, als die Zugewanderten weiter östlich in das Grusinierdorf Sartatschali geleitet wurden, in dessen Nähe ihre zukünftige Heimat gegründet werden sollte. Sofort schritt man zur Verteilung der Plätze für Haus, Hof und Garten durch das Los. Bei der Verlosung verstanden es aber die Leiter der Verteilung so einzurichten, dass ihnen die besten Plätze zufielen. Dieser Betrug der führenden Männer der Gemeinde konnte ihnen nicht verziehen werden, obwohl eine zweite Verlosung die Sache wieder gutzumachen hatte. Bei all ihrer Frömmigkeit und ihrem Eifer zu Versammlungen hatten sie es doch vergessen, einen Platz für Schule und Pastorat zu bestimmen, was später zu großer Verlegenheit führte. Sofort wurde die Bebauung der Felder in Angriff genommen, um durch die erste Ernte sich die notwendigen Lebensmittel zu sichern. Der Zar befahl, dass bei der Errichtung von Wohnhäusern Soldaten von den kaukasischen Regimentern den Kolonisten beistehen sollten. 1819 waren 16 Häuser aufgeführt, welche die Ansiedler zu je zwei Familien bis zur Fertigstellung der anderen bewohnten. Zu Ehren der Kaiserinmutter Maria Feodorowna, Schwester des Königs Friedrich I. von Württemberg, erhielt die in einer schönen Ebene gelegene Kolonie den Namen Marienfeld. Der Schwaikheimer Anführer Friedrich Fuchs wurde zum geistlichen Vorsteher gewählt, der das Amt des geistlichen Lehrers zu führen hatte und den die Regierung als solchen bestätigte. Ihm standen zwei Älteste zur Seite. Sonntags vormittags hielt er unter Verwendung der alt württembergischen Liturgie und des alten Gesangbuchs über die herkömmlichen Evangelien eine Predigt, am Nachmittag eine Kinderlehre in alter Weise, und am Abend eine Erbauungsstunde, wobei aus Hillers Schatzkästlein die Lieder dazu gesungen wurden. Die ersten Siedler hatten es schwer. Bis die ersten Häuser gebaut waren, wohnten sie in Löchern unter der Erde, die mit Zweigen und Mist abgedeckt waren. Die Kolonistenhäuser wurden in einfachster Weise aus Stein oder Fachwerk und Lehmziegeln errichtet und hatten nur zwei Räume. Um 1850 herum war schon ein bescheidener Wohlstand vorhanden, sodass man größere Häuser bauen konnte, die oft zweigeschossig waren und 4 bis 6 Zimmer enthielten. Die Häuser der Weingärtner enthielten im Wohnhaus auch einen Gärraum, von dem ein Gang in den Keller führte. Als Schutz gegen die ständige Gefahr von Überfallen waren Haus und Hof von einer steinernen Mauer umgeben.
Weitere Familien wandern in den Osten aus
Durch das Gelingen des Schwaikheimer Zuges ermutigt, drängten in Württemberg weitere 400 Familien zur Reise in den Osten. Man nannte sie Chilialisten oder Zionisten. Die Behörden versuchten vergebens, durch Vorstellungen aller Art, sie von ihrem Ziel abzubringen. Aber sie sandten eine Deputation nach Moskau zum Zaren. Dort fanden sie in Baron von Berckheim, dem Schwiegersohn der Frau von Krüdener und dem aus Stetten i.R. stammenden Schrade Vermittler und Vertraute, sodass den Schwaikheimern noch dreimal so viel Menschen nach Russland nachfolgen konnten.
Die nachrückenden Gruppen gründeten neue Kolonien bei Tiflis: Elisabethtal, Katharinenfeld (50 km südwestlich), Annenfeld (185 km südöstlich), Helenendorf (210 km südlich), Petersdorf bei Marienfeld, Alexandersdorf und Neu-Tiflis. Das ungewohnte Klima, Fieberepidemien und Cholera machten den Siedlern viel zu schaffen. Die entlegenen Siedlungen Helenendorf und Katharinenfeld wurden von Tatarenhorden oft überfallen. Dennoch brachten der Fleiß und die pietistische Bescheidenheit die schwäbischen Koloniendörfer zur Blüte. 1874 hatten sie die Kronschuld von rund einer Million Rubel abbezahlt.
Die Auswanderer bauen Wein an
Da die gebirgige Landschaft des Südkaukasus für den Getreideanbau ungeeignet war, lag es nahe, dass die ehemaligen Weingärtner dort wieder den Weinbau betrieben. Bessarabien, die Krim und vor allem der Südkaukasus waren die fruchtbarsten Weingegenden Russlands. Es war eine großartige Leistung, die die Schwaben in den um Tiflis gelegenen deutschen Dörfern, in denen sich auch unsere Schwaikheimer überwiegend angesiedelt hatten, mit den sorgfältig angelegten und gepflegten Weingärten vollbrachten. Eine moderne Bewässerungstechnik sorgte für genügend Bodenfeuchtigkeit. Dank der mustergültigen Bewirtschaftung war der Hektarertrag viermal so hoch wie in Deutschland. Während die kaukasische Völker in den schwachen Jahren 1925 bis 1927 nur 18 Hektoliter je Hektar ernteten, erzielten die Deutschen dort einen Ertrag von 60 Hektolitern. Der Anteil der Weinernte der Kaukasusdeutschen an der gesamten Weinerzeugung Russlands betrug 8,6 Prozent. Die Winzergenossenschaft "Konkordia" unterhielt eine Weinkellerei, die alle großen Städte Russlands versorgte. Der Südkaukasus war jedoch keine dauernde Bleibe für unsere Schwaikheimer. Niemand wird die oft tragischen Schicksale dieser Siedler ganz erforschen können.
Die Auswanderer werden zwangsumgesiedelt
Der Wohlstand und die Eigenart zog den Schwaben den Neid und den Hass der Russen zu, vor allem der Rotgardisten. Die Einführung der Kollektivwirtschaft 1930 zerstörte die Grundlagen des Gedeihens der schwäbischen Auswandererdörfer. Von 1937 an wurden die Russlanddeutschen durch einen Erlass Stalins zwangsumgesiedelt und über ganz Russland verteilt. Viele kamen in Lagern um. 25.000 Deutsche wurden aus dem Südkaukasus geschlossen ausgesiedelt und zum größten Teil nach der Wüste südlich vom Balchasee am Fluss Illi oder auch in die Gegend westlich von Alma-Ata verbracht, wo sie unter größten Opfern an Menschenleben wieder Wein und Obstgärten anlegten. Aber zu diesen Russlanddeutschen besteht kein Kontakt mehr. Der 2. Weltkrieg hat die schwäbischen Ansiedlungen im Osten vernichtet. Man sollte sich dieser zugrunde gegangenen Dörfer durch Straßenbenennungen in der Heimat erinnern und auch in Schwaikheim sollte man des Anführers des Harmonie-Zuges, Georg Friedrich Fuchs, gedenken.
Nachkommen einiger Siedler in Russland sind mit der großen Vertreibungswelle nach dem Krieg in die Heimat zurückgekehrt. Dem Auswandererzug von 1816 hatte sich zum Beispiel aus der Familie Schüle der 1786 geborene Maurermeister Johann Adam I. angeschlossen, mit seiner Ehefrau Maria Barbara und seiner Mutter Maria Barbara geborene Müller. Sohn und Enkel in Marienfeld (Georgien) erhielten ebenfalls den Vornamen Johann Adam. Der Urenkel Gustav Gottlieb (*1850) hatte einen Sohn Herbert (*1926), der erst 1976 mit seiner Familie in Karlsruhe eine neue Heimat gefunden hat. Seine Söhne Wilhelm (*1948) und Paul (*1952) pflanzen in der Bundesrepublik den Namen fort.
|